Was geht in Personen vor, die einen gehörigen Teil ihrer Lebenszeit in Kneipen verbracht haben, dadurch oft angetrunken waren, reichlich Geld dafür ausgaben… und manch anderes Interessante in ihrem Leben versäumt haben mögen?
Diese ‚Parallelwelt‘ kenne ich schon auch – aus einer Phase, die einige Jahre währte und bald 30 Jahre in der Vergangenheit liegt.
Das Lied ‚Hier in der Kneipe fühl‘ ich mich frei von Westernhagen war von Jahrzehnten schon ein guter Anfang, um mit dem Kneipengängertum einhergehende Stimmungen zu beschreiben.
Doch Rami Hattab fängt mit seinem Song ‚Goldener Handschuh‘ die ganze emotionale Ambivalenz häufiger Kneipenaufenthalte ein:
Zwischen Hoffnung und Elend
Gleißende Lichter,
kein Kläger, kein Richter
Will doch nur leben
(…) Fühl‘ mich wie Treibgut
Kein Hafen in Sicht
Immer noch scheintot
Immer noch Miese
(…) die Wahrheit im Schnapskrug
zwischen Hoffnung und Elend
Wer weiß, was heut‘ Nacht noch passiert hier im Goldenen Handschuh?
Die Fragestellung klingt vertraut, auch heute noch. Dem ordentlich angetüterten Zweckoptimisten, dessen durch Kölsch und Bacardi-Cola (oder halt Korn-Fanta im Goldenen Handschuh:) gebremstes Denken stets den Hoffnungsschimmer aufrecht hielt: ‚Tja nun, überwiegend Männer hier. Aber nicht nur. Und möglicherweise tritt ja gleich die ultimative Traumfrau durch die Tür…und hat nur Augen für mich…‘ \^o^/
Mit einsetzender Katerstimmung am Morgen danach kam dann auch neben gehörigen Kopfschmerzen und Aschenbechergeschmack im Mund wieder die Einsicht zustande, dass die ultimative Traumfrau höchstwahrscheinlich andere Formen der Freizeitgestaltung vorzöge und das eigene Selbst dank lackiertem Helm auch kaum eine ansprechende Konversation zustande gebracht haben würde.
Die montägliche Ernüchterung hält für eine Weile an, vielleicht bis zum nächsten Abend, womöglich bis zum kommenden Wochenende. Spätestens dann zieht es einen wieder an diesen ‚magischen Ort‘ zwischen Hoffen und Verzweifeln, wo sich reale Leben mit manch unerfreulichem Aspekt für ein paar Stunden ausblenden lässt.
Für mich persönlich wurde das Kneipengängertum immer weniger genug, der implizite Selbstbetrug zunehmend unübersehbar. Doch selbst heute noch fühle ich für einen kurzen Moment ein warmes, nicht unangenehmes Schaudern, wann immer ich an einer entsprechenden Lokalität mit ihren typischen Gerüchen und Klängen vorbeigehe.-
- Die Kiezkneipe Zum Goldenen Handschuh in Hamburg-St.Pauli hat einen ernsten historischen Hintergrund, welcher im Jahr 2019 auch verfilmt wurde: → Der Goldene Handschuh (Film)
- Gegründet und benannt wurde das Lokal 1953 durch den Boxer Herbert Nürnberg, der die Boxeuropameisterschaften 1937 und 1939 im Leichtgewicht („Goldene Handschuhe“) gewonnen hatte.

